Wie werden Richter:innen im Kanton Bern gewählt?

Wer darf im Kanton Bern Recht sprechen? Hinter jeder Richter:innenwahl steckt ein mehrstufiges Auswahlverfahren: öffentlich ausgeschrieben, politisch abgestimmt und fachlich geprüft. Rechtsanwalt Philip Kohli zeigt Ihnen ein Blick hinter die Kulissen, wie Kandidat:innen sich beweisen müssen.

Wie werden Richter:innen im Kanton Bern gewählt?

Im Kanton Bern erfolgt die Wahl der Richter:innen durch den Grossen Rat, das kantonale Parlament. Das Verfahren ist in diversen kantonalen Gesetzen und Dekreten wie auch im Reglement der Justizkommission geregelt. Es soll eine politisch legitimierte und fachlich qualifizierte Besetzung der Gerichte sicherstellen.

Die Wahlvorbereitung erfolgt durch die Justizkommission, welche hierfür einen Ausschuss (Ausschuss IV) gebildet hat.[1] Der Ausschuss IV besteht aus acht Mitgliedern; jede Fraktion ist durch ein Grossratsmitglied vertreten. Die Stellen werden in der Regel öffentlich ausgeschrieben.[2] Bewerben kann sich jede Person, bei der keine Unvereinbarkeitsgründe vorliegen.[3] Weiter sind gesetzliche Anforderungen zu berücksichtigen, welche i.d.R. das Anwaltspatent, die Kenntnis der beiden Amtssprachen und die Stimmberechtigung im Kanton Bern voraussetzen.[4] Zusätzlich werden weitere Anforderungen für die jeweilige Stelle in einem Anforderungsprofil festgelegt.[5]

Nach Eingang sämtlicher Bewerbungsdossiers werden diese durch den Ausschuss IV geprüft und einer Vorselektion unterzogen.[6] Im Anschluss werden die Bewerber:innen, welche die Anforderungen erfüllen, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. In der Zwischenzeit werden Stellungnahmen zu den Bewerbungen beim Obergericht, dem Verwaltungsgericht, der Generalstaatsanwaltschaft, dem Bernischen Anwaltsverband sowie dem Verein der Bernischen Richterinnen und Richter eingeholt.[7]

Nach Eingang der Stellungnahmen werden die Vorstellungsgespräche vor dem Ausschuss IV durchgeführt.[8] Diese dauern pro Bewerber:in i.d.R. eine halbe Stunde. Die Beurteilung der Bewerber:innen durch den Ausschuss IV erfolgt aufgrund der Bewerbungsunterlagen, der Vorselektion, der Stellungnahmen und der Vorstellungsgespräche.[9] Die Bewerber:innen werden jeweils mit einem Prädikat «wenig geeignet» bis «sehr geeignet» ausgezeichnet.

Nach Abschluss des Wahlvorbereitungsverfahrens wird die Beurteilung des Ausschusses IV den Fraktionen des Grossen Rats mitgeteilt.[10] Grundsätzlich gilt, dass die Bewerber:innen mit dem besten Prädikat Vorrang geniessen. Tritt der Fall ein, dass mehrere Bewerber:innen mit gleichem Prädikat für eine Stelle in Frage kommen, entscheidet gemäss ständiger Praxis bei Richter:innenwahlen im Kanton Bern der sog. Parteienproporz.[11] So wird denjenigen Bewerber:innen der Vorrang gewährt, die einer Partei angehören, welche Anspruch auf einen freien Sitz hat. Damit erhofft sich der Grosse Rat ein angemessenes Abbild der Bevölkerung in der Justiz. Erfolgt kein Rückzug der nicht zu priorisierenden Bewerbung(en), hat dies eine Kampfwahl zur Folge.

Die Wahlen finden in der Regel am Mittwoch der ersten Sessionswoche statt, mit anschliessender Vereidigung durch den Grossen Rat oder zu einem späteren Zeitpunkt durch die Justizverwaltungsleitung. Die Wahl der Richter:innen im Kanton Bern ist ein sorgfältig geregelter, demokratisch legitimierter Prozess. Sie verbindet politische Verantwortung mit fachlicher Prüfung – und gewährleistet damit eine unabhängige und tragfähige Justiz.

 

[1] vgl. Art. 21a Abs. 1 GSOG; Art. 38 Abs. 2 lit. c GO sowie Art. 47 Reglement JuKo

[2] vgl. Art. 51 Reglement JuKo i.V.m. Art. 9 PV

[3] vgl. Art. 68 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 KV; Art. 20, 27 und 28 GSOG, Art. 9 GRG

[4] vgl. Art. 67 Abs. 1 KV; Art. 29 GSOG

[5] vgl. Art. 48 Reglement JuKo

[6] vgl. Art. 56 Reglement JuKo

[7] vgl. Art. 21a Abs. 2 GSOG; Art. 52 Reglement JuKo

[8] vgl. Art. 57 Abs. 1 und 2 Reglement JuKo

[9] vgl. Art. 57 Abs. 3 Reglement JuKo).

[10] vgl. Art. 57 Abs. 6 Reglement JuKo

[11] vgl. Kiener/Grunder; Richterwahlen: Diverse Fragen im Rahmen der Umsetzung der «Justizreform 2» (Teil 1); Gutachten vom 7. Mai 2010; S. 12 f.

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